Aktuelles aus Geretsried
Am 9. Februar 2025 fand in Geretsried eine Demonstration gegen Hass, Hetze und Rechtsextremismus statt. Erster Bürgermeister Michael Müller hielt diese Rede auf dem Karl-Lederer-Platz:
»Meine sehr geehrten Damen und Herren,
hier in Geretsried befinden wir uns auf einem besonderen Boden. Unsere Stadt wäre ohne die schrecklichen Ereignisse des 2. Weltkrieges nicht denkbar. Aus den Trümmern einer Rüstungsfabrik, welche für Krieg und Tod produzierte, wurde eine blühendes Gemeinwesen. Diese Aufbauleistung wurde von Menschen geleistet, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von heute auf morgen ihre Heimat verlassen mussten. Sie hatten alles verloren, was ihr bisheriges Leben ausmachte, und waren von schrecklichen Erfahrungen und Erlebnissen traumatisiert. Aber es ist ihnen gelungen, einen Neuanfang zu machen und sich eine neue Existenz aufzubauen.
Bei allem Leid der Vertreibung und des Verlustes der alten Heimat brachte der Sturz der NS-Diktatur die Chance auf einen Neuanfang in unserem Land und öffnete die Tür in eine andere, bessere Zukunft. Auch in Geretsried haben wir diese Chance genutzt - die Menschen haben sich in jeder Hinsicht an den Wiederaufbau gemacht und einen neuen Weg beschritten. Deutschland hat sich auf seine anderen, seine besseren Traditionen besonnen. Mit dem Ende des Kriegs begann für uns eine lange Zeit des Friedens und der Prosperität.
Richard von Weizsäcker hat 1985 in seiner denkwürdigen Rede gesagt: „Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ Gedenken ist wichtig, weil wir uns immer wieder bewusst machen müssen, wohin Menschenverachtung, wohin Antisemitismus und Rassismus, wohin schrankenlose Machtgier und Gewaltbereitschaft führen können. Gedenken ruft uns auf, wachsam zu sein.
Wir in Geretsried, in Deutschland und Europa haben uns lange auf einer Insel des Friedens gewähnt. Immerhin hat Deutschland, hat Europa nach den fürchterlichen Weltkriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen anderen Weg eingeschlagen, den Weg der Annäherung, des friedlichen Miteinanders.
In unserem unmittelbaren Umfeld gab es jüngst rechtsextreme Vorfälle – leider auch in Geretsried und unserer Nachbarstadt Wolfratshausen. Öffentliche Einrichtungen der Stadt Geretsried, das Wohnhaus einer engagierten Bürgerin in Geretsried und ein Geschäftshaus in der Wolfratshauser Innenstadt wurden – zum Teil wiederholt – mit Hakenkreuz und anderen nationalsozialistischen Parolen beschmiert. In einer Schneise der Verwüstungen wurden Wahlplakate verschiedener Parteien zerstört, es wurden Drohungen ausgesprochen und auch Giftköder ausgelegt.
In Geretsried leben Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen – als Nachbarinnen und Nachbarn, als Kolleginnen und Kollegen, als Freundinnen und Freunde, als Familie – insgesamt über 100 Nationen. Das ist die Lebensrealität in unserer Stadtgesellschaft. Das macht Geretsried aus. Unsere Stadt gehört allen Menschen, die hier leben.
Unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Bewertungen politischer Themen, auch unterschiedliche Positionen zur Migrations- und Asylpolitik sind Teil unserer Demokratie. Demokratie braucht Auseinandersetzung, Demokratinnen und Demokraten müssen auch Streit aushalten und Widerspruch akzeptieren. Was wir nicht akzeptieren, ist, wenn der Kern unserer Verfassung und die Basis unseres Zusammenlebens angegriffen wird: die Würde des Menschen.
Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat müssen immer wieder neu verteidigt werden. Eine wehrhafte Demokratie lebt von einer aktiven und wachen Zivilgesellschaft vor Ort. Das haben unzählige Menschen in den vergangenen Wochen in unseren Städten deutlich gemacht. Die Menschen, die aktuell gemeinsam auf die Straßen gehen, um Farbe zu bekennen für Demokratie und Menschenwürde, senden ein klares Signal der Solidarität – und gegen die Spaltung unserer Stadtgesellschaft.
Und wir müssen für die Wahrheit eintreten, wenn Ewiggestrige sich anschicken, den Rechtsradikalismus zu verharmlosen oder zu relativieren. Wir müssen entschieden dagegen auftreten, wenn Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit um sich greifen, wenn Menschen verunglimpft oder bedroht werden, einzig weil sie einer anderen Ethnie oder einem anderen Glauben angehören.
Es führt kein Weg daran vorbei: Gerade hier in Geretsried haben wir die Aufgabe, uns daran zu erinnern, was Leid und Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und die NS-Gewaltherrschaft über die Menschen gebracht hat. Wir haben auch die Aufgabe, dies an jede nachwachsende Generation weiterzugeben. Gerade jetzt, wo immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen unter uns weilen, wo in den Familien nur noch selten über den Zweiten Weltkrieg und das Leid von Flucht und Vertreibung gesprochen wird und die Anzahl der hier lebenden Menschen wächst, die aufgrund ihres Migrationshintergrunds wenig Bezug zur deutschen Geschichte haben.
Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir nach dem Krieg eine neue Chance erhielten. Wir haben sie genutzt. Bei uns sind die Menschenrechte, sind Frieden und Freiheit hohe Güter. Aber wir wissen auch, wie schnell sie gefährdet sein können. Und deshalb geht mit der Erinnerung an die Schrecken des Krieges - mit Tod, Flucht und Vertreibung - die Verpflichtung einher, uns immer und überall für die Wahrung der Menschenrechte, für Frieden und Freiheit einzusetzen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«